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13. Mai 2025

Kleine Einstimmung auf die Vereinsfahrt (30./31.08.25) mit Besuch des Bauernkriegspanoramas

Massaker unter dem Regenbogen

Vor einem halben Jahrtausend erhoben sich die Bauern in Süd- und Mitteldeutschland. Was trieb sie an, welche Rolle spielte Martin Luther – und warum sollte uns ihr Streben nach Freiheit heute noch interessieren?

  • Leipziger Volkszeitung
  • 10 May 2025
Auch das „Zeichen des Himmels“half den Bauern in Frankenhausen nicht: Auschnitt aus dem Monumentalgemälde „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“von Werner Tübke.

von Jan sternberg

Es war keine Schlacht, es war ein Blutbad. Die Aufständischen hatten sich in einer Wagenburg auf der Anhöhe nördlich der thüringischen Stadt Frankenhausen verbarrikadiert. Doch gegen den Angriff der vereinigten Heere der Fürsten, gegen ihre Artillerie, Reiterei und Landsknechte waren die Bauern machtlos.

Die Schlacht von Frankenhausen vor 500 Jahren am 15. Mai 1525 markiert den Anfang vom Ende des größten Bauernaufstands in Mitteleuropa, die blutige Niederschlagung einer Bewegung, die von tiefem Glauben durchdrungen nach Gemeinschaft und Freiheit strebte und die in einem Massenmord endete.

Rund 8000 aufständische Bauern und Bergleute hatten sich oberhalb von Frankenhausen versammelt. Sie hatten mindestens 15 Geschütze den Berg hinaufgeschafft, trugen ansonsten Sensen, Sicheln, Dreschflegel und Mistgabeln. Die Bergknappen waren mit Spießen, Hellebarden und Kurzsäbeln bewaffnet.

Die Regenbogenfahne wehte über einem Blutbad

Die Aufständischen trugen die Regenbogenfahne als Zeichen ihrer Verbundenheit mit Gott und Christus. Fünf lateinische und acht deutsche Wörter standen unter dem Regenbogen: „verbum domini maneat in etternum“(„Das Wort des Herrn bleibe in Ewigkeit“) und „Das ist das Zeichen des ewigen Bundes Gottes“.

Ihnen gegenüber standen die versammelten Heere der Fürsten: das hessisch-braunschweigische Heer unter Landgraf Philipp von Hessen, die sächsischen Truppen unter Herzog Georg, die Soldaten der thüringischen Adligen, die Abordnungen der Mainzer und Brandenburger. Sie hatten den Bauern ein Ultimatum gestellt: Die Aufständischen sollten ihren Anführer ausliefern, den Theologen und Prediger Thomas Müntzer.

Dann sandte der Himmel ein Zeichen, wie die Bauern glaubten. Ein Regenbogen erschien, und zwar rund um die Sonne! Sie waren sich sicher: Die „Stunde des Messias” sei gekommen, sie sahen den Halo, eine kreisrunde Brechung von Licht an Eiskristallen, als Beistand für ihre Sache. Sie lehnten die Auslieferung Müntzers ab, versammelten sich im Kreis, um seiner Predigt zu lauschen. Der Angriff der Fürstenheere traf sie völlig unvorbereitet.

„Die Wagenburg bot keine Deckung und konnte gegen die Artillerie nicht verteidigt werden“, schreibt die Historikerin Lyndal Roper über das Blutbad, das folgte. „Erfahrene Soldaten mähten die Bauern nieder, als sie den Hang hinunter in Richtung Frankenhausen flohen, die Kavallerie hieb sie in Stücke. In einer Senke auf dem Fluchtweg zur Stadt rann das Blut – noch heute heißt sie ‚Blutrinne‘.“

Einige Bauern versteckten sich in den Abwasserkanälen der Stadt, wo sie von plündernden Soldaten aufgespürt wurden. Vielleicht 7000 Menschen wurden an diesem Tag abgeschlachtet, schätzt Roper, weitere 300 am Folgetag hingerichtet. Auf Seite der Fürsten sollen angeblich nur sechs Soldaten gefallen sein. Thomas Müntzer wurde nach der Schlacht in der Stadt gefunden, er versteckte sich in einem Bett als „kranker armer Mann“. Er wurde gefangen genommen, im Schloss Heldrungen gefoltert und am 27. Mai in Mühlhausen auf dem Schafott enthauptet.

Grausame Rache der Obrigkeiten

Bad Frankenhausen war nicht der einzige Ort, an dem im Frühjahr 1525 die Obrigkeiten grausame Rache an der aufständischen Landbevölkerung nahmen. Nur einen Tag später, 500 Kilometer entfernt im Elsass verbrannten 3000 Menschen im Dorf Lupstein. Sie hatten sich vor den heranrückenden Truppen Antons II. von Lothringen in den Ort gerettet. Die Soldaten steckten das Dorf in Brand. Wiederum einen Tag später massakrierten Antons Söldnertruppen die kämpfenden Bauern und unbeteiligten Stadtbewohner im nahe gelegenen Sauverne, sie plünderten den Ort, vergewaltigten die Frauen, erhängten die Anführer des Elsässer Bauernhaufens.

„Die Niederlage der Bauern war so absolut und so total, dass es für Jahrhunderte keinen Aufstand mehr in dieser Größenordnung gab“, sagt Lyndal Roper. „Es sind 1525 zwischen 70.000 und 100.000 Menschen ums Leben gekommen innerhalb von zwei Monaten. Das war kein Krieg, auch kein Bürgerkrieg, das war ein Massaker. Denn es sind nicht sehr viele auf der Seite der Herren ums Leben gekommen.“

Mit besonderer Grausamkeit zeichnete sich etwa Georg III. von Waldburg-zeil aus – sein rigoroses Vorgehen gegen die Aufständischen trug ihm den Beinamen „Bauernjörg“ein. Er ließ Gefangene an einen Baum ketten und bei lebendigem Leibe rösten – eine Bestrafung, die oft nachgeahmt wurde.

Warum die „Bauernhaufen“keine Chance gegen die Landsknechte hatten, erklärt Roper so: „Die Bauern hatten zu wenig eigene Reiterei und zu wenig Erfahrung. Sie waren nicht imstande, sich dem Angriff einer berittenen Armee entgegenzustellen. Sie haben immer diese Wagenburgen aufgestellt und waren dann in einer defensiven Position. Aber in dem Moment, wo die ersten Schüsse losgehen, kommt es oft vor, dass einige in Panik geraten und fliehen. Und dann werden sie einfach nieder gejagt. Deshalb sind die Zahlen der Toten so hoch.“

Was war das für ein Aufstand, der mit den Massakern im Mai an ein Ende kam? Was trieb die Bauern an und warum sollte uns das heute noch beschäftigen? Vom Elsass über Baden, Schwaben, Franken bis nach Thüringen breitete sich 1524/1525 eine Bewegung aus, die ihre Kraft aus Luthers Gedanken zog und von ihm dennoch entschieden bekämpft wurde. Die lokal und regional teils sehr unterschiedlich auftrat und doch auf einen gemeinsamen Nenner kam – angefangen mit dem Beschluss einer Bauernversammlung, Abgesandte aus entfernteren Gegenden weder wegen deren Dialekt noch deren Tracht lächerlich zu machen.

Ihre Forderungen kamen aus dem täglichen Leben, drehten sich um Zugang zu Ressourcen wie Feuerholz und Weideland, begründeten diese aber religiös und erreichten dadurch eine universelle Dimension. Ihre Vorstellungen von Freiheit in Gemeinschaft waren aus heutiger Sicht oft naiv und bleiben dennoch revolutionär.

Es sind 1525 zwischen 70.000 und 100.000 Menschen ums Leben gekommen – innerhalb von zwei Monaten.

Lyndal Roper,

Historikerin und autorin von „Für die Freiheit. der Bauernkrieg 1525“(s. Fischer verlag)

Lyndal Roper hat neun Jahre an ihrer fulminanten Gesamtdarstellung des Bauernkriegs (Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525, S. Fischer, 669 Seiten, 36 Euro) gearbeitet. Die 68-jährige Australierin lehrt in Oxford, spricht seit einem Studienaufenthalt in Tübingen 1979 makelloses Deutsch und ist spätestens seit ihrer Luther-biografie 2017 eine feste Größe als Erklärerin der revolutionären Umbrüche auf dem Kontinent vor 500 Jahren.

Sie hat sich für ihr Buch der Geschwindigkeit der umherziehenden Bauern angepasst, hat die Schauplätze der Erhebung erwandert oder mit dem Rad erfahren. „Eine Landschaft lernt man am besten kennen, wenn man sie in den Beinen spürt“, schreibt sie. Und sie erwähnt auch den Schock, der ihr in die Glieder fuhr, als sie einem Beinhaus neben der neu aufgebauten Kirche in Lupstein den Schädeln und Knochen der dort getöteten Bauern gegenüberstand, über die sie geschrieben hatte.

Für eine Luther-biografin war die Beschäftigung mit dem Bauernkrieg unvermeidlich. Denn ohne den Wittenberger Reformator wäre die Erhebung der Landbevölkerung nicht denkbar – und auch um das zu vertuschen, gehörte Luther später zu ihren radikalsten Feinden.

Ein Luther-traktat und die Forderung nach Freiheit

1520 schrieb Luther ein kurzes, aber durchschlagendes Traktat mit dem Titel „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Seine Anhänger argumentierten später, er habe damit die geistige Freiheit gemeint, doch die Bauern nahmen dieses „Brandwort“wörtlich. Für sie bedeutete Freiheit mehr. „Die Bauern fordern Freiheit“, sagt Roper, „Freiheit von Frondiensten, Freiheit von der Leibeigenschaft, Freiheit, sich ihren Pfarrer selbst auszusuchen. Aber es geht ihnen weniger um die Freiheit des Individuums, sondern um die Möglichkeit, in Freiheit zusammenzuleben. Die Gemeinde steht bei ihnen im Mittelpunkt, ist ihnen unheimlich wichtig.“

Deswegen steht auch die freie Wahl des Pfarrers im Mittelpunkt ihrer Forderungen: Die Kirche hält die Gemeinde zusammen und die Gemeindemitglieder entscheiden, wer die Kirche repräsentiert. Die Frage, ob Laien das Abendmahl nur mit Brot oder auch mit Wein feiern dürfen, mag aus heutiger Sicht nicht mehr als ein Detail darstellen. Für die einfachen Leute des 16. Jahrhunderts war sie zentral, denn der Wein als Symbol für Christi Blut begründet den Anspruch auf Freiheit.

Im dritten und wichtigsten der Memminger Zwölf Artikel aus dem März 1525 heißt es: „… dass uns Christus mit dem Vergießen all seines kostbaren Blutes erlöst und freigekauft hat, und zwar den Hirten gleichermaßen wie den Höchsten, niemand ausgenommen. Deshalb ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.“

Die Aufständischen bildeten ihre eigene Gemeinschaft, eine rein männliche. Sie zogen zusammen aus ihren Dörfern fort, ließen Frauen und Kinder zurück. Auf ihrem Zug bildeten sie Kreise und schworen einander Bruderschaft. „Jeder konnte ein Bruder werden“, sagt Roper. „Ihre Taktik in sehr vielen Fällen war zu versuchen, den eigenen Herren dazu zu bewegen, dass er Bruderschaft schwört. Dann meinten sie, gewonnen zu haben. Das kann man aus heutiger Sicht für naiv und blöd halten. Aber man kann sich auch fragen, wie trägt man widerstreitende Interessen aus? Diese Vorstellung von Bruderschaft ist eigentlich die Auffassung, dass wir einander verpflichtet sind, dass wir miteinander verwandt sind und dass wir irgendwie miteinander auskommen müssen. Ihr Ziel war auch, Respekt und einen menschlicheren Umgang miteinander zu errichten.“

Ein Aufstand vor der Erfindung von Klassen

Die Welt der Bauern war von extremen Gegensätzen zwischen Herrschenden und Beherrschten geprägt, aber die Vorstellung von Klassen und Klassengegensätzen war ihnen fremd. „Wir gehen davon aus, dass es Klassen gibt, dass die Gesellschaft durch verschiedene Interessen bestimmt wird und dass wir diese verschiedenen Klasseninteressen irgendwie austragen müssen“, sagt Roper. „Die Bauern haben mit einer vergleichsweise sehr naiven Vorstellung von Gruppenzugehörigkeit gearbeitet.“

Friedrich Engels hielt das nicht davon ab, Thomas Müntzer zur „großartigsten Gestalt“des Bauernkriegs zu erheben, der das „embryonisch proletarische Element“angeführt habe. Die Ddr-geschichtsschreibung griff diesen Gedanken auf und machte den christlichen Endzeit-prediger Müntzer zum Vorkämpfer für den Arbeiter-undbauern-staat.

Wie ein Maler die Sed-ideologen austrickste

Auf dem Schlachtberg in Frankenhausen ließ das Sed-regime ein monumentales Gebäude für ein Panorama-gemälde errichten. Es sieht von Weitem aus wie ein überdimensionierter Rauchmelder, der statt unter der Zimmerdecke auf dem Hügel klebt. Der Leipziger Maler Werner Tübke schuf mit seinen Assistenten in elfjähriger Arbeit das 14 Meter hohe und 120 Meter lange Rundgemälde mit dem offiziellen Titel „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“.

Tübke trickste die Sed-oberen aus. Sein Rundgemälde mit mehr als 3000 Figuren zeigt eben nicht den linearen Ablauf der Geschichte hin zum kommunistischen Paradies. Das Panorama orientiert sich am Lauf der Jahreszeiten und zeigt so die ewige Wiederkehr des Gleichen. Das Scheitern des Aufstands fügt sich so in einen Kreislauf von Unterdrückung und Erhebung ein. Doch wo die Sympathien des Malers liegen, stellt er immerhin deutlich dar: Nur der Frühling mit der Schlachtszene unter dem Regenbogen liegt im hellen Licht, die anderen Jahreszeiten sind in düsteren Farben ausgeführt. Die Freiheit muss immer wieder neu erkämpft werden, sagt das Bild.

Martin Luther und Thomas Müntzer tauchen auf Tübkes Werk beide mehrfach auf – doch als Gegenspieler hat sie der Maler nicht inszeniert. Während Müntzer in der Schlachtszene unter dem Regenbogen im Zentrum des Geschehens steht, sieht man Luther abseits der Schlacht an einem Brunnen, umringt von anderen Geistesgrößen der Zeit. Wenige Wochen vor dem Massaker von Frankenhausen hatte der Reformator seine berüchtigte Schrift „Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren“verfasst, ausgelöst von einer der wenigen Bluttaten der Bauernheere im April 1525. Luther forderte: „Man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss“.

Was bleibt nach einem halben Jahrtausend?

Warum rief der Reformator in dieser Massivität zur Gewalt auf an denen, die sich doch auf seine Lehren beriefen? Lyndal Roper hat drei Erklärungsansätze. Der erste ist – dann doch – ein Klassengegensatz: „Luther kommt aus einer ganz anderen Schicht als die Bauern“, sagt sie. „Er kommt aus einer ziemlich wohlhabenden Familie. Sie haben Bergwerke betrieben, sie verkehren mit den Beamten und den Grafen, sie haben ein Interesse, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten.“

Die zweite Erklärung ist ebenso theologisch wie persönlich: „Luther glaubt fest daran, dass man die bestehende Ordnung nicht stürzen oder auch nur in Frage stellen darf. Und er muss sich gegen seine katholischen Gegner verteidigen, die immer schon gesagt haben, dass Luther durch seinen Gebrauch des Wortes Freiheit und das Infragestellen der Autorität der Kirche einen Bauernaufstand auslösen würde“, analysiert die Historikerin. „Er musste zeigen, dass nicht er die Unruhen verursacht hat.“

Als drittes kommt ein psychologisches Element hinzu, argumentiert Roper: „Luther wird von Thomas Müntzer angegriffen – und stellt diesen wiederum als Werkzeug des Teufels dar. Weil der Teufel durch die Person Müntzer ihn angreift, ist das der Beweis, dass Luther auf der Seite von Christus steht.“

Was bleibt nach 500 Jahren von der revolutionären Gemeinschaftserfahrung der Hunderttausenden? „Die Vielfalt der Ideen und der Idealismus“, urteilt Roper. Es sei für uns Heutige schwer, 500 Jahre zurückzugehen, sagt sie. „Man denkt, man hat keine Verbindung zu den Leuten vor 500 Jahren. Ich sehe das anders. Ich fühle mich ihnen verbunden. Sie sind zum Teil mit denselben Problemen konfrontiert wie wir.“Doch im halben Jahrtausend zwischen Bauernkrieg und heute liegen die Industrialisierung, die Ideen der Amerikanischen und Französischen Revolution zu Freiheit und Individuum, Kapitalismus und Marxismus, die Kolonialisierung und Globalisierung, „So viele große Entwicklungen, die unsere Denkmöglichkeiten bestimmt haben“, zählt Roper auf. „Wenn man aber zurückgeht zu einer Gesellschaft, wo das alles noch nicht angefangen hat, kann man die Probleme mit einem anderen Blick sehen.“

Und manchmal, unvermittelt und unerwartet, kommen sich die Epochen und ihre Kämpfe nahe: Beim Umzug zum Thüringentag in Gotha am ersten Maiwochenende hatte sich eine Gruppe in die Gewänder der Bauern gehüllt, um an die Ereignisse vor 500 Jahren zu erinnern. Sie trugen Regenbogenfahnen, nicht die von Thomas Müntzer, sondern die heutigen aus der queeren Bewegung. Umstehende beschimpften sie dafür, zeigen Videos in den sozialen Netzwerken. Sie antworteten: „Das ist eine Fahne der Freiheit.“

Mansollsiezerschmeißen,würgen,stechen,heimlichundöffentlich,werdakann,wiemaneinentollenhunderschlagenmuss. Martin Luther, in seiner schrift „Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der bawren“

Article Name:Massaker unter dem Regenbogen

Publication:Leipziger Volkszeitung

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